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„Mit dem Schicksal diskutiert man nicht“

Auch wenn er selbst schwere Zeiten durchlebt: Der Arzt und TV-Moderator ist für andere da.
Dr. Johannes Wimmer im Interview mit der Apotheken Umschau

Herr Dr. Wimmer, im November 2020 ist Ihre Tochter Maximilia im Alter von nur neun Monaten an einem Gehirntumor verstorben. Kann der Arztberuf auf so einen Schicksalsschlag vorbereiten?
Nein. Höchstens fachlich. Ich konnte im Krankenhaus, auf der Kinderkrebsstation den Arzt nicht ablegen. Ich war gleichzeitig Arzt und betroffener Vater, das konnte in einer Sekun- de mehrmals hin- und herschwingen. Ein Blick zum Monitor, und als Arzt erkannte ich, das Kind hat Probleme mit der Atmung. Ein Blick zum Kind, und als Vater zerriss es mir das Herz. Das nimmt die ganze Kraft und braucht die ganzen Ressourcen auf.

Wie sind Sie mit dieser Hilflosigkeit umgegangen?
Bis zu einem gewissen Grad muss man sie ertragen. Aber in dieser Hilflosigkeit habe ich auch immer wieder überlegt: Was kann ich tun, wo kann ich etwas bewirken, eine Entscheidung treffen? Ich wollte mich nicht die ganze Zeit einfach von der Strömung mitgerissen fühlen.

Unglaublich schwer, wenn man so fremdbestimmt ist.
Total. Man ist Zuschauer in seinem eigenen Leben. Es ist schwer, sich zurückzukämpfen. Viele schaffen es nicht, weil es so schmerzhaft ist, weil ihnen die Kraft fehlt.

Wie haben Sie es geschafft?
Wenn ich mir vorstelle, dass jeder mit einem Handwerkskoffer durchs Leben geht, dann habe ich das Glück, dass in meinem ein paar Werkzeuge drin sind, die mir in dieser Zeit geholfen haben – als Arzt und als Mensch.

Zum Beispiel?
Als Arzt habe ich schon viele Men- schen begleitet, da bekommt man ein Gefühl dafür, wie sich eine Situation entwickeln wird. Das war bei Maxi so. Da wusste ich, wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem es das Kind verdient hat, in der Zeit, die ihm noch bleibt, schöne Momente mit der Familie zu haben. In solchen Momenten kann ich ziemlich genau sagen: Das wird der weitere Weg sein. Da diskutiert man nicht mit dem Schicksal.

Sie haben relativ schnell alles öffentlich gemacht – Maxis Krankheit, die Zeit im Krankenhaus, die Trauer. War das eine spontane Entscheidung oder eine mit Bedenkzeit?
Meine Frau und ich haben darüber in aller Ruhe nachgedacht und gesprochen. Es gab nur zwei Wege: Entweder sprechen wir über Maxis Krankheit und das, was wir durchmachen, und ich arbeite weiter. Oder wir schweigen
– dann ziehe ich mich aber vollkom- men aus der Öffentlichkeit zurück. Ich bin kein Schauspieler, der nach außen den unterhaltsamen Mediziner gibt, während er gleichzeitig vor Sorge nicht in den Schlaf findet.

War da auch die Frage: Möchten wir das überhaupt mit anderen teilen?
Ja, das wollten wir. Wir haben in der Zeit auf der Kinderkrebsstation viele Eltern erlebt, die orientierungslos wa- ren. Oft hatte ich auch den Wunsch, dieses kleine Kind einfach unter den Arm zu klemmen und abzuhauen. Ganz weit weg. Aber ich habe auch die Verantwortung gesehen, für andere Menschen in dieser schweren Situation da zu sein. So kam der Gedanke, etwas Sinnhaftes zu tun, anderen zu helfen, indem wir über unsere Erfahrungen sprechen.

Viele wissen nicht, wie sie Menschen in so einer Ausnahmesituation beistehen sollen. Was hat Ihnen und Ihrer Frau geholfen?
Der Tipp ist ja immer: Angebote machen, konkret helfen. Und ich kann sagen, das stimmt, denn uns hat es wirklich geholfen. Freunde, die einkaufen oder ein Abendessen vorbeibringen. Die fragen: Was kann ich tun – Wohnung putzen, Post beantworten, für euch kochen? Das hat uns sehr entlastet. Schwierig ist der Satz: Meld dich, wenn du etwas brauchst.

Oft fehlen uns die Worte, wir haben keine Sprache für Trauer. Muss sich da etwas ändern?
Es sind weniger die Worte, die fehlen, als die Bereitschaft, zuzuhören. Wir müssen einander besser zuhören. Das ist doch das Schöne: Aus den Erfahrungen, die ein anderer mit mir teilt, etwas zu lernen. Es verbindet. Viele Menschen schreiben mir, sie fühlen sich verstanden. Die sagen: Bei mir hat sich das genauso angefühlt, aber mir fehlten die Worte! Oder sie sagen:
Wir haben genau das Gleiche erlebt.

Wie schützen Sie sich, wenn so viele Menschen mit ihren Sorgen und Problemen zu Ihnen kommen?
Es gibt nichts, was so schlimm wäre, dass ich es nicht tragen könnte. Da muss ich mich nicht eigens schützen. Das ist Teil meines Berufs. Ich glaube, das haben meine Patienten auch immer gespürt: Erst mal bin ich menschlich für sie da. Das ist wichtig für Hilfesuchende: das Gefühl, sich für einen Moment anlehnen zu können.

Was gibt Ihnen Kraft?
Die Kraft kommt aus mir selbst. In mir brennt eine Glut, die geht nicht aus. Ich habe sehr früh meinen Vater verloren, mit fünf Jahren. Man verliert einen Teil seiner Kindheit in dem Moment, wenn nicht ganz. Ich glaube, ich habe schon als Kind entschieden: Ich möchte mich davon nicht besiegen lassen. Ich dreh das um.

Hilft diese Kraft auch durch die Trauer hindurch?
Ja, auch wenn man manchmal ganz
schön ackern und strampeln muss, um überhaupt auf der Stelle bleiben zu können. Ich habe auch wirklich schlimme Tage, schlaflose Nächte. Da geht es nicht darum, nach vorne zu denken. Da reicht die Kraft gerade so, um auf der Stelle zu bleiben. Aber ich weiß: Wenn der Wind von vorne im- mer stärker bläst, bleibe ich umso fester stehen. Und ich habe das große Glück, eine Frau an meiner Seite zu haben, die das mit mir durchgestanden hat.

Quelle: www.apotheken-umschau.de

Apothekenumschau

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